Museums-Check: Vitra Design Museum in Weil am Rhein

Das Schaudepot des Vitra Design Museums zeigt Schlüsselstücke des Möbeldesigns. Dazu gibtʼs viele spannende Anekdoten

Text: Petra Kistler Fotos: Joss Andres

So schafft man eine Design-Ikone: Als Starregisseur Billy Wilder eine Liege für sein Mittagsschläfchen im Büro brauchte, wandte er sich an seine Freunde Charles und Ray Eames. Die beobachteten ihn beim Nickerchen, das nicht länger als 15 Minuten dauern sollte – und entwarfen die Soft Pad Chaise. Ihre Liegefläche ist so schmal, dass Wilders Arme beim Abgleiten in den Tiefschlaf zu Boden rutschten und ihn weckten. Und weiter ging’s mit dem Filmdreh.

Wo man derlei erfährt? Im Schaudepot im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Dort steht auch die leicht geschwungene Liege – und zwar das Original von Billy Wilder, wie Leonie Samland erzählt, die durch die Sammlung führt. Die 1968 entworfene Soft Pad Chaise ist eines von 20 000 Objekten des Vitra Design Depots. 400 Schlüsselstücke des Möbeldesigns, präsentiert auf schlichten Glasregalen, werden seit dem Sommer 2016 in der Haupthalle gezeigt.

Möbel, die übrigens weder ästhetisch besonders ansprechend noch komfortabel sein müssen. Sie stehen jeweils für eine Epoche, für eine revolutionäre Technik, ein neues Material oder eine radikale Formensprache. Mit den Nachlässen bedeutender Designer wie Charles und Ray Eames, Verner Panton und Alexander Girard gehört das Schaudepot zu den weltweit wichtigsten und größten Sammlungen moderner Möbelgestaltung.

Meilensteine der Möbelgeschichte

„Und wo können wir Ihre Sammlung sehen?“ Diese Frage wurde im Vitra Design Museum immer wieder gestellt. Die korrekte Antwort lautete: „Im Depot.“ In den viel beachteten Wechselausstellungen war nur für wenige Objekte Platz, der gewaltige Schatz des Hauses blieb verborgen. Bis die Basler Architekten Herzog & de Meuron das Schaudepot bauten.

Das schlichte Gebäude mit seiner fensterlosen Fassade aus gebrochenem Klinker bietet ideale Bedingungen, um die kostbaren Stücke zu erhalten. „Licht, Sauerstoff und schwankende Temperaturen sind Gift für die Objekte“, erläutert Leonie Samland, angehende Restauratorin. Für ihre Zunft ist jedes Fenster eines zu viel. Im Untergeschoss des Schaudepots wurde ein Kompromiss gefunden. Durch vier Glasscheiben können die Besucher in die Herzkammern von Vitra schauen: in das Depot mit den mehr als tausend Leuchten, die Sammlung mit fröhlich-verrücktem italienischem und nüchternem skandinavischem Design, die Regale mit dem Eames-Nachlass.

Der größte Teil des Sammlungsarchivs ist allerdings weiter verborgen. Im Untergeschoss steht aber auch eine Rekonstruktion des privaten Arbeitszimmers von Charles und Ray Eames, das genauso aufgebaut wurde, wie sie es hinterlassen haben. Betreten darf man es nicht, stattdessen kann man wie in einem Aquarium durch eine große Scheibe in das kleine Zimmer blicken. Nebenan, im Vitra Design Lab, steckt in den Schubladen eine riesige Materialsammlung zu Kunststoffen, Metall oder nachhaltigen Rohstoffen.

Das Schaudepot ist kein Firmenmuseum, keine PR-Show. Im Erdgeschoss werden, streng chronologisch geordnet, die Meilensteine der Möbelgeschichte vorgestellt. Das älteste Objekt ist ein Windsor-Stuhl. Er stammt aus dem England des 18. Jahrhunderts und ist weltweit verbreitet worden. Das jüngste Modell ist gerade mal drei Jahre alt – der Aluminium Gradient Chair von Joris Laarman, ein Stuhl aus dem 3D-Drucker.

Manches kennt der interessierte Laie. Zum Beispiel die Thonet-Stühle. Die Bugholzmöbel des Tischlermeisters Michael Thonet aus Boppard am Rhein waren das Mobiliar für die Kaffeehäuser in aller Welt. Dank der von ihm erfundenen Holzbiegetechniken konnte Thonet Sitzmöbel aus Bugholz leichter, schneller und billiger herstellen. Von 1859 bis 1930 wurden weltweit 50 Millionen Stück des Thonets Nr. 14 verkauft. Unzählige Kopien nicht eingerechnet. Der Consumsessel von Thonet war kein Luxusgut. Bei Markteinführung kostete das Modell drei Gulden, was dem Wert von drei Dutzend Eiern entsprach.

Kampf gegen den Zerfall

Ganz anders die Entwürfe des schottischen Architekten, Designers und Künstlers Charles Rennie Mackintosh. Sie waren nicht für den Massenmarkt und die serielle Fertigung gedacht, sondern wurden für einen bestimmten Raum entworfen. So wie der Stuhl mit der überhohen Rückenlehne, der in den Argyle Street Tea Rooms in Glasgow stand.

Nicht jeder Stuhl war als bequeme Sitzgelegenheit gedacht. Mit dem rot-blauen Stuhl wollte der Niederländer Gerrit Thomas Rietveld eines der wichtigsten Objekte der Möbelgeschichte erschaffen. Zur Ikone des Designs wurde der Stuhl aber erst hundert Jahre später. Auch die Stahlrohrmöbel von Mies van der Rohe fanden Zeitgenossen grässlich – heute sind sie Kult.

Das Schaudepot kommt ohne kluge Texte aus. Woher der Besucher Fakten und Anekdoten erfährt? Die Objektnummern, die man auf zur Verfügung gestellten iPads in einem digitalen Katalog eingeben kann, führen zur vorbildlichen digitalen Sammlung. Oder man bucht eine der empfehlenswerten Führungen. Dann erfährt der Besucher auch, welche Sorgen die Designobjekte aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren den Restauratoren machen. Viele Kunststoffobjekte werden langsam mürbe und lösen sich in feinen, gelben Staub auf.

Wie lange werden Exponate aus dem 3D-Drucker wohl halten? Der Chubby Chair von Dirk Vander Kooij sieht aus, als wäre er aus gewaltigen Lakritzstangen zusammengebaut worden. Er besteht aus recyceltem Kunststoff. „Für die Ewigkeit ist er wohl nicht gedacht“, sagt Leonie Samland. Den Kampf gegen die Altersschäden von Polyurethan und Polyesterharz kennt die angehende Restauratorin aus dem Effeff. Kunstvolles Handwerk? Leonie Samland schüttelt den Kopf: „Vor allem chemische Formeln.“

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